Verehrtes Publikum, es hat mal wieder irgendwie geklappt. Nun ja, eigentlich nicht irgendwie, sondern mit Hilfe der für unsere Arbeit so immens wichtigen Unterstützung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Land NRW und die Stadt Bochum. Denn so können wir, abweichend vom Zwei-Jahres-Turnus, in diesem Jahr erneut eine kleine Zwischen-FIDENA präsentieren. Und diese Kleine hat es in sich. Unter den sieben exklusiven Inszenierungen, die wir in diesem Jahr präsentieren, sind vier Uraufführungen und sogar Auftragsproduktionen! In Kooperation mit der aktuellen europäischen Kulturhauptstadt LINZ09 erkunden wir die europäischen Wurzeln unserer speziellen Theaterkunst und präsentieren einen wahrhaften Europäer: Kasper heißt er bei uns, Pulcinella in Italien, Mr. Punch in England, Vitéz Lázló in Ungarn, Don Cristóbal in Spanien, Petruschka in Russland, Karagöz in der Türkei.  Ein ganzes Festival, (fast) nur für Erwachsene, gewidmet einem streitsüchtigen, anarchistischen Theaterberserker. Sie dachten, Kasper sei der liebe Kerl, der alten Damen über die Straße hilft? Nein, beim besten Willen, alles ist der ursprüngliche Kasper, in der Tat auch sehr, sehr lustig – aber nicht lieb! Freuen Sie sich auf herausragende europäische Künstler. Sie kümmert weder Tod noch Teufel. So frech und virtuos, so unterhaltsam, aktuell und künstlerisch ernst zu nehmen haben Sie Kasper und Freunde nie zuvor erlebt. Vorhang auf für »Kasper Reloaded« – seien Sie herzlich willkommen! Annette DabsFestivalleiterin
Adolf Dresen »Hanswursts Immerwiederkehr« ... Auf die Harlekinsvertreibung ist die deutsche Theatergeschichte zu Unrecht stolz. Harlekins Fall war eher der Sündenfall des Theaters, seine Vertreibung eine Vertreibung aus dem – allerdings etwas unsauberen – Paradies. … Einst war er eine Volksfigur gewesen, Protagonist eines Volkstheaters, Hoffnung der Erniedrigten und Beleidigten, ihr grobianischer Sprecher, tolpatschiger Diener einer vornehmen Welt – wobei nie klar wurde, ob er mit Absicht dazwischen trampelte oder aus Versehen, ob er schaden wollte oder ungeschickt war, korrupt oder Rebell, Kämpfer oder Parasit, Drückeberger oder Widerborst. War er listig oder war er dumm? War er asozial oder subversiv? Populär oder trivial? Was immer er war, er war nicht zu fassen. Wo immer man ihn suchte, griff man ins Leere. Er log sich aus jeder Schlinge und überlebte noch die eigene Hinrichtung. … Man wusste nie, war er Feind der Ordnung überhaupt oder der bestehenden, sozialen. Ferkelhaft und säuisch, verfressen und versoffen, gerissen und beschissen, verlogen und verkommen war mit ihm buchstäblich kein Staat zu machen. … Vor allem war er fruchtbar, auch buchstäblich, und hatte viele Kinder. Einigen aus seinem Geschlecht wuchs eine lange Nase, die unser Kasper bis heute trägt, die aber noch für etwas anderes steht, was die alten Athener direkt zu zeigen sich nicht scheuten. ... In der Hand trug er die berühmte Holzpritsche, mit der er auf die Zeitgenossen eindrosch, die Plätsch des Kölner Karneval, die englische Slapstick. ... Mit dem Hanswurst wurde immer wieder alle Lustigkeit aus dem Theater gejagt, ja alle Lust. … Als Gottsched ihn ihn jedoch vorn aus der Bude rausjagte, holte Lessing ihn hinten wieder rein. Auch Lessing aber meinte nicht jede Art Jux, nicht die leere Unterhaltung, den platten Gag, das hohle Entertainment. Er fand in Hanswurst den Erben des alten Volkstheaters, das den Unteren Mut macht, er fand in ihm das Spontane, die Subversion, die Rebellion, den Aufstand, die ein wesentlicher Teil aller Kunst sind. Daher sollte nicht nur das Theater, sondern alle Kunst sich auf Hanswurst besinnen als auf das Moment des Dialogischen und Kollektiven, das sie im Kunstwerk allzu leicht verliert. …
(stark gekürzt aus Theater der Zeit, Heft 9/2001)
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Wir danken für die Unterstützung: dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, der Stadt Bochum, LINZ09, CULTURESFRANCE und institut francais, der USB Umweltservice Bochum GmbH, den Stadtwerken Bochum und der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (BOGESTRA) sowie Škoda, Automobile Friedenseiche, Bochum. 
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